Schmerzen des Steißbeins 2.0

Patienten mit Steißbeinschmerzen (Coccygodynie) stehen unter sehr hohem Leidensdruck.

Frauen sind häufiger betroffen,  meist verzweifelt und haben bereits eine Vielzahl an Untersuchungen und Therapien über sich ergehen lassen.

Bedauerlicherweise finden sich kaum Ärzte in Deutschland, die sich auf diese Fälle spezialisiert haben. Wenn ich meinen Patienten glauben darf, dann schein es überhaupt keinen Spezialisten auf diesem Gebiet zu geben.

Betroffene Patientinnen und Patienten nehmen somit oft eine lange Anfahrt über mehrere Stunden in Kauf, um sich in unserem Zentrum behandeln zu lassen.

Nach mehr als 500 osteopathischen Behandlungen von Patientinnen mit Steißbein- und/ oder Beckenbodenschmerzen konnte ich viel Erfahrung auf diesem Gebiet sammeln und möchte diese hier kurz zusammenfassen.

Die Therapie kann tatsächlich sehr einfach sein und Beschwerden sind oft rasch und effektiv in den Griff zu bekommen.

Anatomie des Steißbeins:

Das Steißbein (Os coccygis) befindet sich am untersten Ende der Wirbelsäule.
Es besteht aus 3-5 verschmolzenen Wirbelknochen. Diese stellen letztlich die Reste der Schwanzwirbel unserer tierischen Vorfahren dar.
Nach oben (cranial) grenzt das Steißbein an das Kreuzbein. Mit diesem ist es über das Sacrococcygealgelenk verbunden.

Das Steißbein ist über Bänder, Muskeln und Faszien mit anderen Strukturen und den Beckenknochen selbst untrennbar verbunden:
Bänder stabilisieren das Steißbein mit den Beckenknochen (z.B. Lig. Sacrospinale und sacrotuberale).
Besonders wichtig und meist zu wenig beachtet wird das sacrogenitale Band (Lamina pubo-vesico-genito-recto-sacralis): Dieses Band verbindet Schambein, Harnblase, Genitalien, Dickdarm und das Kreuzbein. Dieses Band stellt also eine Verbindung knöcherner Strukturen mit inneren Organen dar, die ebenfalls als Auslöser der Steißbeinschmerzen in Betracht kommen können.

Der Musculus coccygeus und der Muskulus levator ani setzen ebenfalls am Steißbein an.

Ursachen – Wann treten Steißbeinschmerzen auf?

Frauen sind häufiger von Steißbeinschmerzen betroffen als Männer – die Ursache hierfür ist unklar.
Auffällig häufig treten Coccygodynien während der Schwangerschaft auf
Schmerzen treten auch nach Stürzen auf den Steiß mit Luxationen (Fehlstellungen), Prellungen oder Brüchen auf – diese Ereignisse können in manchen Fällen auch schon Jahre zurück liegen.

Nach meiner Erfahrung ist das Steißbein selbst fast nie Auslöser der Schmerzen. In den allermeisten Fällen findet sich die Ursache in den anliegenden Bändern und muskulären Strukturen. Triggerpunkte spielen oft eine entscheidende Rolle.

Untersuchung:

Die Untersuchung des Steißbeins erfolgt zunächst durch Abtasten der knöchernen und der muskulären Strukturen. Manchmal ist auch schon zu Beginn eine rektale Untersuchung sinnvoll, um die volle Beweglichkeit (Mobilität) des Steißbeins in allen Ebenen zu erfassen.

MRT-Untersuchungen liefern meist keinen Erkenntnisgewinn und sind in der Regel verzichtbar.
Selbst wenn sich alte Frakturen finden, ändert dies an der Therapie nichts entscheidendes.

Beweglichkeit (Mobilität):

Das Steißbein kann sowohl fest mit dem Kreuzbein verbunden (immobil), normal beweglich (mobil), als auch „überweglich“ (hypermobil) sein.

Patienten berichten regelmäßig, dass als Ursache der Schmerzen zum Beispiel ein Hypermobiles Steißbein diagnostizierte wurde.

Diese Diagnosen halte ich für falsch und nicht wegweisend. Beschwerden lassen sich aus der Beweglichkeit nicht ableiten: Schmerzen können sowohl bei einem festen, einem mobilen und auch bei einem hypermobilen Steißbein auftreten. 

Stellung:

Das Steißbein kann in alle Richtungen stehen. Auch, wenn vermutet wird, dass ein nach innen gerichtetes Steißbein auf den Enddarm drücken könnte, halte ich auch die Stellung des Knochen für irrelevant.

Auch bei Gesunden finden sich alle erdenklichen  „Fehlstellungen“, ohne dass Beschwerden auftreten.

Therapie:

Die Therapie ist um so aussichtsreicher, je früher eine Behandlung erfolgt!
Bestehen die Schmerzen schon seit vielen Jahren, ist die Gefahr einer Chronifizierung durch das Schmerzgedächtnis des Gehirns groß. Die Behandlung muss in diesen Fällen deutlich langwieriger angesetzt werden.

Osteopathische / Manuelle Behandlung:

Die osteopathische Untersuchung und Behandlung umfasst die Therapie sämtlicher Strukturen des kleinen Beckens.
Eine rektale (oder vaginale) Behandlung ist meist unabdingbar – nur so kann das Steißbein in allen Ebenen manuell mobilisiert sowie das umliegende Gewebe gedehnt und von Spannungen befreit werden.
Diese Behandlung ist nach meiner Erfahrung sehr erfolgversprechend und bildet die Basis der Therapie.

Diese Behandlung sollte aufgrund der komplexen Anatomie und sensiblen inneren Strukturen unbedingt von einem ärztlich tätigen und erfahrenen Osteopathen durchgeführt werden!

 

Triggerpunktbehandlung:

Bei Triggerpunkten handelt es sich um kleine schmerzhafte Verquellungen in der Muskulatur.  Diese entstehen meist durch langjährige Fehl- bzw Überlastung der betroffenen Strukturen.

Bei den allermeisten betroffenen Patienten finde ich zusätzlich schmerzhafte Triggerpunkte im Bereich der umgebenden Muskulatur. Diese können zum Teil manuell behandelt, manche aber auch nur mit Hilfe von Akupunkturnadeln erreicht werden.

 

Medikamentöse Therapie 

Gegen einen Therapieversuch mit Schmerzmitteln ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Hier kommen in der Regel Antiphlogistika wie z.B. Ibuprofen zum Einsatz.
Nach unserer Erfahrung lindern dieses Substanzen aber allenfalls Beschwerden, bei denen eine entzündliche Reaktion im Vordergrund steht – dies ist bei Coccygodynien nur selten der Fall.
In Kombination mit einer osteopathischen Behandlung ist die Erfolgsrate deutlich höher.

Spritzen (Infiltration):

Eine weitere Möglichkeit stellt das Infiltrieren des Gewebes um das Steißbein herum dar – in der Regel kommen hier Lokalanästhetika zum Einsatz.

Lokalanästhetika können eine Schmerzreduktion herbeiführen. Zu bedenken ist allerdings, dass hiermit nicht die Schmerzursache beseitigt wird. Somit führen wir diese Therapie meist nur in Kombination mit einer osteopathischen Behandlung durch.

Das Spritzen von Kortisonpräparaten direkt in das Gewebe hingegen ist höchst umstritten und wird in unserer Einrichtung aufgrund möglicher Nebenwirkungen nur noch in absoluten Ausnahmefällen durchgeführt.

Operative Therapie

Die operative Therapie (Entfernung des Steißbeins) stellt die allerletzte Möglichkeit der Behandlung dar. Diese Methode sollte nur bei starker Chronifizierung der Schmerzen und erst nach Jahren in Betracht gezogen werden, wenn sich alle anderen Therapieformen als unwirksam erwiesen haben.

Aus rechtlichen Gründen wird darauf hingewiesen, dass in der Benennung der beispielhaft aufgeführten Anwendungsgebiete selbstverständlich kein Heilversprechen oder die Garantie einer Linderung oder Verbesserung aufgeführter Krankheitszustände liegen kann. Für den Bereich der Wirbelsäule, z.B. beim chronischen Schmerz -Syndrom der Wirbelsäule geht die Bundesärztekammer in der Regel von einer Wirksamkeit osteopathischer Behandlungen aus (Deutsches Ärzteblatt 2009, Seite 2325 ff.). Im Übrigen gibt es bislang keine Studien die in wissenschaftlicher Hinsicht die Wirkungsweise der Osteopathischen Medizin bei den unten aufgeführten Krankheitsbildern nachweisen.

 

Fazit:

Das Steißbein selbst scheint selten Auslöser von Schmerzen zu sein. Meistens finden sich die Ursachen im umgebenden Gewebe.

Die Stellung und die Beweglichkeit des Steißbeins spielen eine untergeordnete Rolle und stehen mit den Beschwerden kaum in Verbindung.

Die osteopathische Behandlung des Beckens und des Steißbeins erzielt sehr gute Erfolge. Insbesondere, wenn diese mit einer Triggerpunktbehandlung kombiniert wird.

In der Regel reichen drei Behandlungen aus.

Von der Behandlung mit Spritzen rate ich ab und führe diese selbst nur noch in absoluten Ausnahmefällen durch.

 

Aufbau des Steißbeines 

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